Architekt und Architekturbuchautor Thomas Drexel porträtiert seit über zehn Jahren Bau- und Wohnprojekte in verschiedenen Ländern, bei denen Stilsicherheit und die Konzentration auf das Wesentliche eine entscheidende Rolle spielen. Im Interview mit uns beschreibt er, worauf es bei der Gestaltung kleiner Räume ankommt und warum kompaktes Wohnen in jeder Hinsicht nachhaltig ist.
“Wohnen auf kleinem Raum kann sowohl großzügig als auch im besten Sinn gemütlich sein”, haben Sie mal geschrieben. Wie meinen Sie das, Herr Drexel?
Thomas Drexel: Das Gemütliche in einem modern gedachten Sinn bezieht sich darauf, dass ein Raum den Grundcharakter einer Hütte transportiert, die wiederum emotional dieses Behütet-Sein mit sich trägt – und kleinere Einheiten bieten eigentlich genau das.
Was man dann in moderner Wendung hinzufügen muss, ist eine Großzügigkeit bei der Innenraumgestaltung, beziehungsweise bei der Gestaltung der Innen-/Außenbezüge, die das begrenzte Volumen vergessen macht.
Welche architektonischen Methoden und Kniffe sollte man bei der Gestaltung kleiner Räume anwenden, um ein Gefühl der Enge zu vermeiden?
Drexel: Ganz wichtig ist es in dem Zusammenhang, daran zu denken, dass man Räume gestaltet, die wenige Sichtbarrieren aufweisen, dass man lange Sichtachsen hat und dadurch eine visuelle Durchgängigkeit schafft. Letztere wird natürlich auch dadurch erzeugt, dass große Fensterflächen die Grenzen zwischen dem Innen- und dem Außenraum aufheben oder zumindest in der Wahrnehmung verschwinden lassen.
Es geht nicht zuletzt darum, dass man auch das erlebte Volumen erhöht, indem man beispielsweise auf einer begrenzten Grundfläche eine Gallerieebene hat und dadurch von Unten nach Oben/ Oben nach Unten in der Höhe Blickbezüge schafft, die eine Größe in der Vorstellung erzeugen, die de facto vielleicht so gar nicht vorhanden ist. Auf diese Weise schafft man eine Raumwahrnehmung, die sogar besser sein kann als in manchem Haus, das die doppelte oder dreifache Wohnfläche aufweist.
Spielt die Qualität der verbauten Materialien auf einer kleineren Fläche ein größere Rolle?
Drexel: Heute sollte es meiner Ansicht nach nicht nur wegen der sich verstärkenden Diskussion über Nachhaltigkeit, sondern grundsätzlich Stand des Wissens sein, dass nachhaltig erzeugte Materialien in der Regel das Mittel der Wahl sein sollten.
Man sollte einfach deren unglaubliche Vorteile, sowohl, was die Bauphysik, als auch was die Bauökologie und eben die Nachhaltigkeit angeht, noch stärker in den Blick nehmen. Und dies insbesondere, was die große Bauwirtschaft angeht: dort passiert das nach wie vor viel zu wenig.
Das ist denke ich ein Faktum, das unabhängig von der Größe die Leitlinie der Planung und des Handelns sein sollte. Im Zusammenhang mit dem kompakten Bauen ist die Verwendung natürlicher Materialien natürlich insofern sehr konsequent, weil sie mit der Ressourcenschonung Hand in Hand geht – und dies transportiert insgesamt ein konsequentes Konzept.
Lassen Sie uns noch einmal auf den Aspekt der Raumgröße zurückkommen: Eine Idee, die in diesem Zusammenhang immer wieder genannt wird, ist die Beschränkung auf das Wesentliche. Aber was ist eigentlich das Wesentliche?
Drexel: Das definiert sich letztlich natürlich aus den Ansprüchen der Bewohner. Die sollten sich schon im Vorhinein, bevor sie überhaupt mit der Planung beginnen, sehr genau fragen, was sie wollen und was sie brauchen.
Letzteres wird oft vergessen, weil man einfach von Vornherein voraussetzt, man würde Dinge brauchen wie beispielsweise einen großen Keller, drei, vier zusätzliche Räume, die man dann als Reserve verwendet. Anstatt dass man sagt, man nimmt einen Raum und weist ihm mehrere Funktionen zu.
Man sollte ganz zu Beginn eine sehr genaue Bestandsaufnahme seiner Wünsche, natürlich auch der Möglichkeiten und der Ansprüche haben. Bei einer Familie mit drei Kindern sind das klarerweise andere als bei einem Paar. Aber man muss diese Liste sehr genau überprüfen und auch ganz viel wegstreichen. Was dann am Ende übrig bleibt, das ist der wirkliche Bedarf.
Oft orientiert man sich aber an dem, was man zu brauchen glaubt, ohne es zu hinterfragen oder weil Bekannte und Freunde es auch haben und man denkt, man müsste es auch so haben.
Sie haben in mehreren Büchern einige Menschen portraitiert, die sich auf vergleichsweise kleinem Raum eingerichtet haben. Lassen sich bei diesen Persönlichkeiten Gemeinsamkeiten herauskristallisieren?
Drexel: Tatsächlich ist es recht unterschiedlich. Auf jeden Fall sind es aber offene Menschen, die bereit sind, unter Umständen auch im Vorhinein gefasste Entschlüsse in Frage zu stellen oder diese zum Beispiel von einem guten Architekten in Frage stellen zu lassen – was den Bedarf angeht, was die Bauweise angeht, die Kubaturen etc.
Aber es sind in vielen Fällen auch Leute, die im Vornherein sagen: “Wir haben nicht so viel Geld, mach was damit, bau uns was Schönes, damit wir auf einem hohen ästhetischen Niveau und mit einem guten Wohnerlebnis, aber ohne überzogene Features leben können.”
Welche Vorteile sehen Sie zusammengefasst bei einem Modulhaus?
Drexel: Schon wegen ihrer Größe und ihres geringen Volumens sind sie in jeder Hinsicht nachhaltig. Je mehr nachhaltige Materialien für den Bau verwendet werden, desto nachhaltiger wird das Gesamtkonzept.
Das hat natürlich auch die immer mitschwingende Bedeutung, dass es einen bewussten Verzicht transportiert, der einfach in die Zeit passt. Allerdings, ohne auf Wohnqualität und Komfort zu verzichten. Das ist letztlich die Inkarnation der These, dass Fläche keine Rolle für das Wohlfühlen spielt.
Sie sagen “Verzicht, der in die Zeit passt”. Die Statistiken sprechen eine andere Sprache: 1965 lag die Wohnfläche pro Person in Deutschland im Schnitt bei 22 qm2. Heute sind es 47 qm2, Tendenz steigend.
Drexel: Die Gesellschaft ist natürlich immer in Widersprüchen verhaftet. Wenn ich sage, dass es in die Zeit passt, dann meine ich damit nicht unbedingt, dass die Mehrheit der Leute in einer Umfrage sagen würde, sie möchte möglichst wenig Wohnfläche haben. Aber das ist die Zielsetzung, die wir uns vor Augen halten müssen. Unabhängig von der Diskussion “Einfamilienhäuser ja oder nein”. Das ist meiner Ansicht nach gar nicht so der Punkt.
Der Punkt ist tatsächlich, wie viel Fläche brauche und verbrauche ich eigentlich. Denn auch, wenn ein Haus als Passivhaus konzipiert ist und 500 qm2 Wohnfläche hat, ist es einfach energetisch eine Katastrophe. Wenn ich ein Haus baue, das vielleicht gar nicht so unglaublich superbe Energietechnik aufweist, das aber nur ein Zehntel der Fläche hat, ist das in aller Regel natürlich eine viel sinnvollere Geschichte.
Auch aufgrund zum Beispiel der immensen grauen Energie, die zum Bau eines sehr großen Hauses verbraucht wird etc. ist die Kompaktheit bei nachhaltiger Bauweise einfach die Zielsetzung im Sektor Bau, auf die wir hinsteuern müssen. Auch, um etwas für die Zukunft unseres Planeten zu tun.
Haben Sie eine Idee, wie man in diese Richtung hinwirken könnte?
Drexel: Ich denke, man müsste zum Einen die Förderung für nachwachsende Rohstoffe deutlich erhöhen. Auf der anderen Seite müsste man vielleicht auch die Verwendung von ökologisch minderwertigen Baustoffen höher besteuern.
Ich nenne mal den Zement – auch wenn Beton natürlich für die moderne Architektur immer etwas war, was gern genommen worden ist. Aber es ist eben auch ein Klimakiller, der mit hohem Schadstoffausstoß verbunden ist. Man müsste auch große Wohnflächen nicht mal nur nicht mehr fördern, sondern auch höher besteuern und man müsste Kompaktheit fördern. Das wäre einer der Wege dorthin.
Wie könnte neben diesen finanziellen Aspekten ein Bewusstseinswandel in der Gesellschaft geschaffen werden – Sie haben bei der Frage nach dem Bedarf den Vergleich mit Bekannten und Freunden angesprochen?
Drexel: In der aktuellen Klimadiskussion sollte das früher oder später auch von Seiten einer Regierung stärker forciert werden. Es gibt ja immer Marketingstrategien von Seiten der Bundesregierung und der Landesregierungen zu allen möglichen Themen. Aber zu solchen Themen, wie wir sie hier besprechen, habe ich da sehr wenig wahrgenommen. Das ist das eine.
Andererseits wird die Diskussion glaube ich früher oder später zwangsläufig Fahrt aufnehmen, weil man – was in der Vergangenheit kaum passiert ist – endlich mal einen gesamtheitlichen Blick auf die Ressourcen, deren Verbrauch und Verschwendung werfen muss.
Dabei wird man gar nicht darum herumkommen, den Bausektor in den Blick zu nehmen, weil er einfach nach wie vor eine hohe Umweltbelastung darstellt, so wie es läuft. Das alles gibt auch ein Gesamtbild, das natürlich nicht nur, aber natürlich auch durch politische Maßnahmen und letztlich auch durch Verbote bestimmter Materialien und monetäre Maßnahmen flankiert werden muss. Anders wird es, denke ich, nicht gehen.
Unabhängig von der Diskussion über das Ein- oder Mehrfamilienwohnen finde ich es wichtig, als Einzelner immer zu überlegen, wieviel Quadratmeter ich wirklich brauche, wenn ich intelligent und nachhaltig plane, und wieviel Lebensqualität ich persönlich und die Gesellschaft insgesamt durch kompaktes und ressourcenschonendes Bauen gewinnen.
Herr Drexel, vielen Dank für das Gespräch!
Copyright Foto: Dominik Drexel